Die Textwerkstatt "Wismar to go" ist ein Teilprojekt des großen Theaterprojektes "Freiheit und Glaube" 2017 im Rahmen der Aktionen zu 500 Jahre Reformation in Wismar. Getragen von der ev. luth. Kirche in Wismar und in Kooperation mit der Hansestadt Wismar. Im Workshop wurden die unterschiedlichsten Themen von Hölle, Glauben bis Gerücht und Freiheit in Texten kreativ umsgesetzt. Einige Texte wurden auch vertont und Du kannst sie über unsere Website www.textwerkstattwismartogo.jimdo.com hören und natürlich auch alle anderen Texte lesen. Viel Spaß beim Eintauchen in unsere Gedanken. Die Teilnehmer der Textwerkstatt

 

Der Text zu dem Bild Gerücht:

Sie saßen und plapperten – ein Gerücht


(Ergänzung zu Heinrich Heines „Sie saßen und tranken am Teetisch“)
Käfer krabbeln. Emsig.
Männer sitzen bei Männern, Frauen bei Frauen, alle bei Kaffee und
Kuchen, und tratschen. Spekulatius und Spekulationen über Nachbarn,
Freunde, Verwandte.
Das macht Spaß! Manches ist lustig, gar nicht böse gemeint, nein!
Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wurde. Und manche kolportieren
nur, das, was ihnen von anderen zugetragen wurde. Stille Post!
Am Ende steht etwas ganz anderes. Fake News? Ja, manchmal auch in
den Medien. Ist das Kunst, Wissenschaft, oder kann das weg?
Mies sein. Ja, manchmal sind wir gerne mies. Allzu menschlich.
Manchmal geht das bis hin zur Zerstörung. Oder psychischen Störung.
Oft ist es ja nur irrational. Klar. Und ja – ich glaube, dass es so ist. Ham
se ja in‘t Fernsehn jezeicht, woll?
Oft wird nur nachgeplappert. Ich glaube – das kann wahr sein.
Das mag so sein, ja!
Männer und Frauen.
Bei Kaffee und Kuchen. Oder am Gartenzaun.
Ja, das war wohl schon immer so.

 

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Aufgetaucht

 

 

Das konnte doch nicht alles sein. Er war viel zu schnell gegangen und hatte noch soviel, das er erleben wollte. Warum nicht fragen, um eine zweite Chance. Fragen kostet nichts. Und der Entscheider sagte ja, er durfte noch einmal eintauchen in das Leben. Mit dem Ja sammelten sich die Partikel, die einmal seinen Körper ausmachten im Meer wieder Stück für Stück zusammen. Er ist verbrannt worden, nie wollte er unter der Erde begraben werden. Als er komplett war, stieg er an der Kaimauer die Treppe hinauf. Er entdeckte einen Haufen mit trockenen Kleidern, die für ihn bereitlagen, sie hatten an alles gedacht. Schnell zog er sich an. Zum Glück sah ihn niemand, wie peinlich auch, sonst wäre er noch verhaftet worden, was für ein Start für eine zweite Chance. Erstaunt sah er sich um und traute seinen Augen kaum. Der Hafen, in dem er viele Jahre im VEB Getreidesilo gearbeitet hatte, war nicht wiederzuerkennen. Die Speicher waren zwar noch da, doch schien hier niemand mehr zu arbeiten. Neue Gebäude waren entstanden, hell und sauber. Er schaute in die Schaufenster der neuen Läden und Cafés, was es dort alles gab. Das hätte er sich zu DDR-Zeiten nicht träumen lassen. Er hatte von den Neuen von der Wende gehört, aber es sehen, war etwas anderes. Erschöpft setzte er sich auf eine Bank. Neben ihm saß eine ältere Frau, die mit altem Brot die Möwen fütterte. Er wünschte „Guten Tag“ und begann ein Gespräch. Sie erzählte von ihrem Leben. Sie hatte immer gearbeitet und drei Kinder großgezogen. Nach der Wende verlor sie ihre Arbeit und fand auch keine neue. Ihre Wohnung im Friedenshof, auf die sie so stolz war, war immer noch warm und trocken, doch wenn sie auf die Straße ging, hielt sie ihre Handtasche ganz fest an den Körper gepresst. Die Menschen kümmerten sich nicht mehr um ihre Häuser und auch nicht um die anderen. Zwar konnte sie jetzt reisen, aber wohin ohne Geld. Früher hatte sie nichts, aber die anderen auch nicht. Sie vermisste den Halt und den Zusammenhalt. Zwar hatte sie nun die Freiheit, aber der Lebenssinn war verloren. Er fragte sie, wie es ihr jetzt ginge. Sie sagte: „Muß ja!“ Der Frust ballte sich zu einer harten Kugel und schlug ihm an den Kopf. Taumelnd erhob er sich und wankte an die Kaikante. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte an der selben Stelle wie damals in die Ostsee. Schwimmen konnte er noch immer nicht. Das „Muß ja“ legte sich schwer um seinen Hals und zog ihn in die Tiefe.

 

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Ausstellung Textwerkstatt Wismar to go bei der hohen Kunst ist gesponsert von Martin Wilck. Danke schön!